Das semantische Gedächtnis

Jeder ist kreativ – aber die Fähigkeit und Motivation, kreativ zu sein, ist nicht bei allen gleich.

Aber warum? Dazu müssen wir zunächst verstehen, wie kreatives Denken funktioniert – und wo es in unserem Gehirn passiert. Eine wichtige Grundlage für unsere Kreativität ist die Fähigkeit des Gehirns, gespeicherte Informationen abzurufen. Ausgangspunkt ist die Frage, die wir für kreatives Denken brauchen: »Ideen entstehen nicht aus dem Nichts: Es wird allgemein angenommen, dass sie durch das Suchen, Reorganisieren und Kombinieren von Informationen entstehen, die bereits in unserem semantischen Gedächtnis gespeichert sind.« erklärt die Neurowissenschaftlerin Marcela Ovando-Tellez von der Universität Sorbonne in Paris.

Daher ist klar, dass auch kreative Fähigkeiten eng mit diesen Prozessen verbunden sind.
Wenn mein Gehirn beispielsweise besonders gut darin ist, viele zusammenhängende Informationen aus dem Gedächtnis abzurufen, kann es mir ein entsprechendes Set an Bausteinen und Ansätzen für eine kreative Lösung liefern. Tatsächlich bestätigten Untersuchungen von Ovando-Tellez und ihrem Team dies. Daher fördert es die Kreativität, denn unser Gehirn durchsucht seine Gedächtnisspeicher besonders flüssig und umfassend und erkennt weitreichende Zusammenhänge. Wenn das Gehirn beispielsweise bei der Suche nach dem semantischen Gedächtnis einen ausreichend engen Fokus hat, sind wir möglicherweise weniger kreativ und haben Mühe, großartige Lösungen zu finden. Ist der Fokus hingegen sehr breit gefächert, können wir auch auf vermeintlich ferne Ideen kommen und diese zu neuen Modellen kombinieren. Sortieren schafft Fokus Das allein reicht jedoch nicht aus: Das Gehirn muss auch aus dem Gedächtnis abgerufene Informationen erkennen können, die für die Lösung eines Problems unerlässlich sind, und unwichtige Daten aussortieren – sonst bleiben wir in unbedeutenden Details stecken. Daher muss es eine übergeordnete Steuerungsfunktion geben, die die aus dem Speicher abgerufenen Informationen in Bezug auf die Aufgabe klassifiziert. Diese Fähigkeit stellt sicher, dass wir den vielversprechendsten Ansatz identifizieren und ihn umsetzen.

Was ist das semantische Gedächtnis und wie »funktioniert« es?

Im menschlichen Gedächtnisses ist das semantische Gedächtnis ein Bereich, in dem nicht nur Fakten und Informationen gespeichert sind, sondern auch die Bedeutung hinter den Dingen. Anders als das Arbeitsgedächtnis oder das Kurzzeitgedächtnis, spielt das semantische Gedächtnis eine entscheidende Rolle beim Erinnern von Wissen und Konzepten über lange Zeiträume hinweg. Im Gehirn werden hierbei nicht nur einzelne Erinnerungen abgespeichert, sondern komplexe Verknüpfungen zwischen verschiedenen Informationen gebildet. Durch diese Netzwerke im Cortex können Menschen auf eine Vielzahl von gespeicherten Erinnerungen zugreifen und diese miteinander verknüpfen, um kreatives Denken zu fördern und neue Ideen zu generieren. Das semantische Gedächtnis dient somit als Fundgrube für Inspiration und ermöglicht es uns, auf bereits vorhandenes – noch unbewusstes Wissen zurückzugreifen.

Die Rolle des semantischen Gedächtnisses bei der kreatives Prozessgestaltung 

Kreativen Prozessgestaltung und das semantische Gedächtnis bilden eine Einheit. Abstrakte Konzepte und Ideen können so aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden, um neue/andere Lösungsansätze zu generieren. Durch die Verknüpfung von gespeichertem Wissen und Erfahrungen entstehen neue Perspektiven, die den Denkprozess bereichern. Der Cortex ist maßgeblich daran beteiligt, Erinnerungen in Bezug zu setzen und so die Kreativität zu fördern. Indem Menschen auf ein reichhaltiges Repertoire an Informationen zurückgreifen können, wird der Gestaltungsprozess vielschichtiger und origineller. Das semantische Gedächtnis dient somit als Inspirationsquelle für kreative Einfälle und ermöglicht es, auf Bewährtes aufzubauen, um Neuartiges zu schaffen. Durch das gezielte Training des semantischen Gedächtnisses können wir unsere Fähigkeit zur innovativen Ideenfindung weiterentwickeln und damit unser kreatives Potenzial voll ausschöpfen.

Wie kann man das semantischen Gedächtnis trainieren, um seine Kreativität zu steigern?

Wenn man sich bewusst und freiwillig (intrinsische Motivation) mit neuen Informationen und Wissensgebieten auseinandersetzt, wird das Bekannte, also das Gehirn gefordert und gleichzeitig gefördert. Es entsteht eine neue Vernetzung von bereits gespeichertem Wissen. Theateraufführungen, das Ansehen inspirierender Videos und Filme oder das Lesen interessanter Artikel, hören von Podcast, kochen etc. kann dabei helfen, neue Verbindungen im Gehirn zu knüpfen und somit die kreative Denkweise zu unterstützen. Lernen, kontinuierlich neues Wissen aneignen, Dinge anders betrachten, Fragen dazu stellen, musizieren oder singen –  jedes Stückchen neues Wissen wird in Ihrem semantischen Gedächtnis gespeichert, verknüpft sich mit dem Unbekannten. Mit alten, gespeicherten Wissen und neuen Erfahrungen kannst du deine Kreativität pimpen.